Kann Gewichtheben das Wachstum hemmen? Expert:innen klären auf

Sport und Bewegung

Das sagen Coaches über die möglichen Gefahren des Gewichthebens für ältere Kinder und Jugendliche.

Letzte Aktualisierung: 16. September 2022
6 Min. Lesezeit
Kann Gewichtheben das Wachstum beeinträchtigen? Expert:innen klären auf

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Sport in jungen Jahren möglicherweise den Beginn einer lebenslangen konsistenten Fitnessroutine darstellt, das Selbstvertrauen steigert und sogar ein Gefühl von Empathie und innerer Stärke vermittelt. Auch wenn sportliche Betätigung im Kindes- und Jugendalter viele Vorteile mit sich bringt, ist es dennoch wichtig, die allgemeine Gesundheit im Auge zu behalten. Deshalb nun die umstrittene Frage: Hemmt Gewichtheben das Wachstum von älteren Kindern und Jugendlichen?

Die kurze Antwort lautet "nein". Allerdings gibt es für Jugendliche, die mit dem Gewichtstraining beginnen möchten, ein paar wichtige Punkte zu beachten, so Carol Mack, Physiotherapeutin, C.S.C.S., Coach für Krafttraining und Ärztin für Physiotherapie.

"Es gibt keinen Beweis dafür, dass Gewichtheben das Wachstum hemmt", so Mack. "Tatsächlich ist es sogar so, dass junge Athlet:innen durch Widerstandstraining ihre Koordination verbessern und Kraft aufbauen können. Außerdem werden derzeit speziell junge Athletinnen dazu motiviert, Gewichte zu heben – in der Hoffnung, dass sich dadurch ihr Verletzungsrisiko verringert. Dennoch sollte gerade bei jungen Menschen auf den Aufbau einer gewissen Grundfitness geachtet werden, bevor mit Gewichts- oder Widerstandstraining begonnen wird."

Was die Forschung sagt

Die National Strength and Conditioning Association veröffentlichte im Jahr 2009 eine Stellungnahme zum Thema "Jugendliche und Kraftsport" und hat diese seitdem nicht mehr aktualisiert. Aus der Stellungnahme geht Folgendes hervor: "[U]ntersuchungen deuten zunehmend darauf hin, dass Widerstandstraining im Kinder- und Jugendalter einzigartige Vorteile bieten kann, sofern es in angemessener Weise verordnet wird und die jungen Menschen dabei beaufsichtigt werden. Widerstandstraining für Jugendliche wird (wenn auch bedingt) von Medizin-, Fitness- und Sportorganisationen zunehmend akzeptiert."

Abschließend wurden in der Stellungnahme Bedenken zum Thema als überholt bezeichnet, und es wurde darauf hingewiesen, dass es inzwischen genügend Informationen gibt, die die positive Wirkung von Widerstandstraining bei Jugendlichen belegen – aber eben unter der Prämisse, dass altersgemäße Richtlinien befolgt werden.

Auch die seit dem Erscheinen dieser Stellungnahme veröffentlichten Forschungsergebnisse bestätigen, dass Krafttraining für junge Menschen als sicher gilt. Laut einem klinischen Bericht der American Academy of Pediatrics aus dem Jahr 2020 haben sorgfältig ausgearbeitete Widerstandstrainingsprogramme keine offensichtlichen negativen Auswirkungen auf das Größenwachstum, die Gesundheit der Wachstumsfuge oder das Herz-Kreislauf-System von Kindern und Jugendlichen.

Aus einer Forschungsstudie, die im Jahr 2016 in einer Ausgabe von Frontiers in Physiology erschien, geht hervor, dass Widerstandstraining bei jungen Athlet:innen Vorteile in Bezug auf die langfristige Gesundheit und sportliche Performance bietet, da es eine neuromuskuläre Anpassung bewirkt.

Eine weitere Forschungsstudie, die im Jahr 2009 in einer Ausgabe von Sports Health veröffentlicht wurde, legt nahe, dass sich junge Menschen meist nur dann beim Krafttraining verletzen, wenn sie Equipment falsch nutzen, mit den falschen Gewichten trainieren, nicht auf die richtige Technik achten oder nicht von erwachsenen Personen beaufsichtigt werden. In der Regel ist es also nicht das Gewichtheben selbst, das Verletzungen verursacht.

Wie Mack bereits erwähnt hat, werden auch immer mehr Athletinnen dazu ermutigt, mit Widerstandstraining anzufangen – und das aus gutem Grund. Dadurch, dass die Kniegelenke von Frauen anders aufgebaut sind als die von Männern, treten besonders Kreuzbandrisse häufiger bei Athletinnen als bei Athleten auf. Laut Johns Hopkins Medicine kann eine geringe Muskelmasse in den Beinen das Verletzungsrisiko noch erhöhen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Krafttraining eine schützende Wirkung haben kann.

So können Jugendliche, die Gewichte heben, Verletzungen vorbeugen

Die wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage "Kann Gewichtheben das Wachstum hemmen?" ist zwar ein klares "Nein", das bedeutet jedoch nicht, dass der Sport komplett frei von Risiken ist. Wie bei jeder Art von körperlicher Aktivität kann es auch beim Krafttraining zu Verletzungen kommen – insbesondere dann, wenn die Bewegungen falsch ausgeführt werden.

Aus diesem Grund ist es laut Mack wichtig, dass die Jugendlichen beim Trainieren beaufsichtigt werden und dass sie Tipps zur richtigen Technik erhalten. Am besten wären natürlich individuelle Trainingsprogramme. Diese sind zwar nicht immer möglich – speziell dann nicht, wenn zum Beispiel ein ganzes Fußball- oder Schwimmteam gleichzeitig im Kraftraum der Schule trainiert – dennoch sollte gerade zu Beginn viel Wert auf Einzeltraining gelegt werden. Das kann sich auf lange Sicht definitiv auszahlen.

"An der Highschool, an der ich Krafttraining unterrichte, stelle ich oft fest, dass Schüler:innen der Unterstufe, die individuelles Training bekommen, die meisten Übungen und Geräte bereits vor dem Erreichen der Mittel- bzw. Oberstufe beherrschen", so Mack.

Ein weiterer Tipp: Es sollte laut Rocky Snyder, C.S.C.S., darauf geachtet werden, dass das Trainingsprogramm "altersgerecht" ist (wie auch von der NSCA empfohlen).

"Bei einigen Online-Programmen wird zwar angegeben, dass sie für Jugendliche geeignet sind, leider sind es aber in Wirklichkeit oft nur etwas abgewandelte Programme für Erwachsene. Das ist ein großes Problem", so Snyder. "Ein jugendlicher Körper unterscheidet sich von dem einer erwachsenen Person. Bewegungssteuerung, Flexibilität, Kraftniveau, hormonelle Veränderungen sowie geistige und körperliche Reife sind nur einige wenige Faktoren, die bei der Entwicklung eines umfassenden Trainingsprogramms für junge Athlet:innen berücksichtigt werden müssen."

Snyder empfiehlt Athlet:innen, Eltern, Coaches und dem Rest des Supportsystems, sich die NCSA-Infografik zu Widerstandstraining für Jugendliche anzusehen, in der Strategien für den Einstieg und sicheres Training beschrieben werden. Diese reichen vom Training mit relativ leichten Gewichten und dem Beachten einer korrekten Technik über die schrittweise Erhöhung des Widerstands um 5 bis 10 % bis hin zur Optimierung von Performance und Erholung durch gesunde Ernährung, angemessene Flüssigkeitszufuhr und ausreichend Schlaf.

"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Krafttraining das Selbstvertrauen der Jugendlichen stärkt", so Mack. "Und das nicht nur auf kurze Sicht, sondern auch später während ihres Studiums und generell im Erwachsenenalter."

Text: Elizabeth Millard

Ursprünglich erschienen: 27. Dezember 2021

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